Hermine Henriette – so entstand das Tagebaurestloch

1. April 2010

Hermine Henriette

 

Die 1855 in Halle gegründete „Sächsisch-Thüringische AG für Braunkohleverwertung AG“ eröffnete 1857 den Tiefbau der Grube „Theodor“ (bei Ammendorf) und unternahm ein Jahr später Versuche zur Brikettierung der Braunkohle. Die Leistung der ersten Presse betrug 42 Briketts pro Minute. 1859 wurde „Theodor“ mit der Grube „Neptun“ (bei Osendorf) zusammengeführt. Die Fusion erhielt 1860 den Namen „Von der Heydt“, benannt nach dem aus Elberfeld stammenden preußischen Staatsminister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten August Freiherr von der Heydt (1801–1874), der sich vor allem um die Förderung des Schienenverkehrs im Reich verdient gemacht hat. In unmittelbarer Nähe dieser Anlage, zu der auch das Braunkohlenwerk Ammendorf gehörte, befand sich die 1853 eröffnete Grube „Hermine Henriette“, die ab 1872 von der „Zeitzer Paraffin- und Solarölfabrik“ in Osendorf in der Nähe des Dreierhauses betrieben wurde. Diese wurde im Volksmund ,Die Schmiere‘ genannt und bot, wie Pastor Friedhelm Bruns im Kirchenbuch Döllnitz berichtet, „sehr vielen aus der Gemeinde lohnende Arbeit“.

1887 fusionierten beide Gesellschaften, ein Jahr später konnte eine Eisenbahnanbindung fertiggestellt und mit dem Aufschluss des Tagebaus „Hermine Henriette I“ und dem Bau einer zusätzlichen Naßpresssteinanlage begonnen werden. Im ersten Jahr der Produktionstätigkeit wurden allein von „Hermine Henriette I“ 57 013 Tonnen Rohbraunkohle zur Verfügung gestellt. Der Tagebaubetrieb dieser in der Nähe des Reidebaches gelegenen Grube war nicht unproblematisch. Im November 1890 erfolgte ein schwerer Wassereinbruch, der eine starke Verschlämmung des Tagebaues nach sich zog. Zusammen mit der Entschlämmung wurde ein mächtiger Tondamm zwischen Reide und Grube errichtet, der letztere vor Hochwasser schützen sollte.

Zur Verarbeitung der enorm ansteigenden Kohleproduktion bedurfte es einer zweiten Brikettfabrik, die 1892 in Bau ging und zunächst mit drei, später mit vier Pressen ausgerüstet war. 1909 betrug die Rohkohleförderung der AG „Von der Heydt“ 415 190 Tonnen. Daraus wurden 49 572 Tonnen Briketts und 4 162 Tonnen Nasspresssteine hergestellt. Um ihre Verarbeitungsanlagen auf längere Zeit auslasten zu können, erwarb die AG ein Kohlenfeld bei Döllnitz und konnte 1898 mit der Erschließung von „Hermine Henriette II“ beginnen. Deren, anfangs im Tiefbau, später im Tagebau geförderte Kohle wurde mit einer drei Kilometer langen Drahtseilbahn den in der Nähe von „Hermine Henriette I“ gelegenen Veredlungs- und Umschlagseinrichtungen zugeführt. Auf 1908 datiert ist die vom Oberbergamt Halle beurkundete Überschreibung der Kohlenfelder, situiert in der Gemarkung Lochau, die die AG unter dem Namen „Hermine Henriette III“ ausbeuten konnte. Von hier gelangte die Kohle mittels einer Kettenbahn zu „Hermine Henriette II“ und von dort, wie beschrieben, zu den Veredlungs- und Umschlagseinrichtungen.

Mit der Errichtung der Leuna-Werke im 1.Weltkrieg gewann die Braunkohleförderung in den genannten Revieren enorm an Bedeutung. Die Betriebe erfuhren eine Modernisierung und eigens für den Bedarf der Werke richteten die Betreiber eine 14,5 Kilometer lange Kohlenbahn ein, an die auch der Tagebau „Von der Heydt“ angeschlossen wurde. Schließlich kam es aus wirtschaftlichen Gründen 1927/28 zu einer Vereinigung von „Hermine Henriette I“ mit „Von der Heydt“ zu einem Großtagebau.

Die bei der Kohlegewinnung anfallenden Abraummassen gelangten auf eine Hochhalde, die sich östlich der Ortschaften Osendorf und Radewell befindet. Sie wurde später aufgeforstet und mit Wanderwegen versehen und dient heute noch touristischen Zwecken.

Die Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts grassierende Weltwirtschaftskrise zwang zur partiellen Einstellung der Förderung. Erst 1936, und zwar im Zusammenhang mit den Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten, wurde die Braunkohle wieder interessant. Betrug die Förderung beispielsweise um 1912 noch 200.000 Tonnen pro Jahr, entnahmen die Betreiber den Tagebauen nunmehr über drei Millionen Tonnen. „Hermine Henriette I“ wurde noch im 2. Weltkrieg geschlossen. Hier begannen sich nach 1945 die Restlöcher bereits mit Grundwasser zu füllen – der Osendorfer See, damals noch als „Osendorfer Schachtteich“ benannt, war im Entstehen begriffen. Lediglich eine Grubenbahn, die um den See führte und Kohle von „Hermine Henriette III“ zur Kohleveredlung transportierte, und die ehemalige Transformatoren- und Umspannstation, welche die Riebecksche Montanwerke AG nach dem 1. Weltkrieg errichten ließ, erinnerten an die einstige Nutzung.

Der „Osendorfer Schachtteich“ galt bald als eine beliebte Badegelegenheit für die Einwohner der umliegenden Gemeinden, an einem der steilen Abhänge wurde eine Skischanze errichtet. Mit dem Aufbau einer Kanuregattastrecke in den fünfziger  Jahren des 20. Jahrhundert begann eine neue Ära der einstigen Braunkohlengrube „Hermine Henriette I“.

 

von Hans-Joachim Kertscher/Petra Kunitzsch

 

 

Abbildungen

 

Abbildung 2: Grube Hermine Henriette I um 1927 (Archiv Jürgen Lange)

Abbildung 3: Transformatorenstation um 1925 (Archiv Jürgen Lange)

Abbildung 6: Regatta auf dem Osendorfer See um 1958 (Archiv HKC)

Abbildung 8: Blick auf die Regattastrecke im Jahr 2005 (Archiv HKC)