MZ Bericht 30.04.2016

30. April 2016

Realistische Chance Zwei Athleten vom Halleschen Kanu-Club wollen nach Rio

Ivo Kilian auf der Trainingsstrecke auf dem Hufeisensee. FĂŒr die WM ist er bereits qualifiziert. Dort  winkt ihm auch ein Startplatz fĂŒr die Paralympischen Spiele.

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Eckehard Schulz

Halle (Saale) –

Trainer Ronny Waßmuth kniet auf dem Steg und gibt dem im Kanu sitzenden Ivo Kilian energische Anweisungen zum Trainingsstart. Gut warm fahren, so lautet die erste Devise, damit sich der Sportler keinen Muskel zerre. Die Sonne ist zwar zu sehen, doch es ist kalt am Ufer des Hufeisensees, und der Wind streicht rau ĂŒber das Wasser. „Die Trainings- und Wettkampfbedingungen an anderen Standorten sind viel besser als hier an unserem See“, sagt Waßmuth unabhĂ€ngig vom Wetter, „aber das ist okay. Das macht meine Parakanuten nur besser.“

Besser als so manche Konkurrenz sind die Parakanuten des Halleschen Kanu-Clubs (HKC) allemal. Ivo Kilian und Maik Polte konnten sich Anfang April bei einer nationalen Qualifikation in Duisburg direkt fĂŒr die Weltmeisterschaft qualifizieren. Diese wird Mitte Mai stattfinden. Und da haben die beiden eine realistische Chance sich einen Startplatz fĂŒr die Paralympischen Spiele in Rio zu sichern.

DafĂŒr mĂŒssten sie es unter die neun besten Starter und ins Finale schaffen – und am besten noch die anderen EuropĂ€er abhĂ€ngen. Denn fĂŒr die Qualifikation der Paralympischen Spiele gibt es eine LĂ€nderverteilungsregel, die besagt, dass von jedem Kontinent gleichviele Athleten zugelassen werden mĂŒssen.

Fogarasi scheitert

Der mehrmalige deutsche Meister vom HKC, Patrick Fogarasi, konnte aufgrund eines entzĂŒndeten Weisheitszahns bei der ersten WM-Qualifikation nicht antreten. Er hatte am Freitag in Kienbaum noch eine Chance, sich zurĂŒck ins Nationalteam zu kĂ€mpfen. „Um das zu schaffen , muss vieles passen“, sagte der Vater von zwei Kindern schon im Vorfeld. Dann kam das Aus. Er verpasste die Normzeit von 48,07 Sekunden auf 200 Metern um etwa eine Sekunde. Die 200 Meter sind die einzige Wettkampfdistanz beim Parakanu.

Ivo Kilian ist in seinem Kanu wĂ€hrenddessen nur noch als kleiner Punkt in der Ferne auszumachen. Er nimmt das „gut Warmfahren“ ernst. Der Trainer schwĂ€rmt unterdessen. „Unter uns: Ivo ist ein Naturtalent“, offenbart Ronny Waßmuth stolz, „er lernt unglaublich schnell.“ Das ist fĂŒr den Erfolg des 38-JĂ€hrigen auch immens wichtig. Der IT-Spezialist betreibt den Parakanusport nĂ€mlich erst seit gut zwei Jahren.

Trotzdem fÀhrt er schon ganz vorne mit, gewann die Bronzemedaille bei der WM in Mailand im vergangenen Jahr und darf sich zweimaliger deutscher Meister nennen. Als nÀchstes Ziel stehen nun die Paralympischen Spiele auf dem Programm.

Ivo Kilian steigt ins Kanu.

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Eckehard Schulz

Der Weg dorthin war und ist jedoch holprig. Das Paralympische Komitee erklĂ€rte nĂ€mlich das Auslegerboot, in dem Kilian seine ersten Erfolge feiern konnte, das sogenannte Va’a, als nichtparalympisch zugelassen. Stattdessen darf man nur im Kanu starten. „Na und, dann fahr ich halt Kanu“, war Ivo Kilians erste Reaktion auf diese Änderung. Die Chance auf eine Teilnahme in Rio wollte er sich nicht nehmen lassen, bloß weil er nun umschulen musste.

Dies war jedoch einfacher gesagt als getan. FĂŒr den Trainer Waßmuth und seinen SchĂŒtzling stand nun, das neue Boot beherrschen zu lernen. Was gar nicht so leicht viel. Doch auch diese Herausforderung konnte gemeistert werden und Ivo Kilian hat sich inzwischen an sein neues Boot gewöhnt. Jetzt heißt es: Fokus bewahren und hart trainieren. Nachdem im Winter an der Kraftentwicklung gearbeitet wurde, wird aktuell viel fĂŒr die Grundlagenausdauer trainiert. „Das heißt viele Kilometer schrubben“, sagt Kilian, der wöchentlich sechs bis acht Einheiten absolviert.

Kinder bei WettkÀmpfen dabei

Jedes zweite Wochenende opfert er außerdem komplett fĂŒr den Sport. An solchen Wochenenden bewĂ€ltigt er sechs Einheiten an zwei Tagen. Auf die Frage wie er bei all dem Training und seinem zeitaufwĂ€ndigen Job noch Zeit fĂŒr seine beiden Kinder finde, reagiert der alleinerziehende Vater lachend: „Die sind in einem Alter in dem sie sowieso nicht mehr so viel mit mir zu tun haben wollen.“ Die beiden seien 17 und 18 Jahre alt und wĂŒrden ihre Zeit hauptsĂ€chlich mit ihren Freunden verbringen.

Nur zu den WettkĂ€mpfen ihres Vaters kĂ€men sie regelmĂ€ĂŸig. „Ich habe die vollste UnterstĂŒtzung von meiner Familie“, sagt Kilian, „das ist auch einer der GrĂŒnde, warum ich den Sport weiterhin ausĂŒbe“, sagt der Mann, dem von Geburt an die Unterschenkel fehlen. Die Anfangsbuchstaben der Namen seiner Kinder hat Ivo Kilian auf seinem Oberarm tĂ€towiert.

Geld bekommen die Parakanuten nicht fĂŒr den Aufwand, den sie betreiben. Auch die öffentliche WertschĂ€tzung lĂ€sst zu wĂŒnschen ĂŒbrig. „Parakanu ist und bleibt leider eine Randsportart,“ meint Trainer Waßmuth traurig. Doch fĂŒr Ivo Kilian ist der Spaß am Parakanu fahren das Wichtigste. „Oft genieße ich es einfach, auf dem Wasser zu sein und meinen Kopf frei zu kriegen“, erzĂ€hlt er. In solchen Momenten denke er nicht an WettkĂ€mpfe. Da gebe es nur ihn, sein Boot und das Wasser.

Beim Wettkampf gehe es darum, dann vom Start bis ins Ziel konzentriert und mit allen Muskeln am Anschlag zu paddeln. Den Ausgleich brauche er einfach, denn er verbringe die meiste Zeit im Auto oder im BĂŒro. Falls dieser „Job-Ausgleich“ tatsĂ€chlich nach Rio fĂŒhren sollte, wĂ€re das sicherlich das i-TĂŒpfelchen der noch jungen und bislang schon steilen Karriere des 38-jĂ€hrigen Parakanuten.  (mz)