Realistische Chance Zwei Athleten vom Halleschen Kanu-Club wollen nach Rio
Ivo Kilian auf der Trainingsstrecke auf dem Hufeisensee. FĂŒr die WM ist er bereits qualifiziert. Dort winkt ihm auch ein Startplatz fĂŒr die Paralympischen Spiele.
Eckehard Schulz
Halle (Saale) –
Trainer Ronny WaĂmuth kniet auf dem Steg und gibt dem im Kanu sitzenden Ivo Kilian energische Anweisungen zum Trainingsstart. Gut warm fahren, so lautet die erste Devise, damit sich der Sportler keinen Muskel zerre. Die Sonne ist zwar zu sehen, doch es ist kalt am Ufer des Hufeisensees, und der Wind streicht rau ĂŒber das Wasser. âDie Trainings- und Wettkampfbedingungen an anderen Standorten sind viel besser als hier an unserem Seeâ, sagt WaĂmuth unabhĂ€ngig vom Wetter, âaber das ist okay. Das macht meine Parakanuten nur besser.â
Besser als so manche Konkurrenz sind die Parakanuten des Halleschen Kanu-Clubs (HKC) allemal. Ivo Kilian und Maik Polte konnten sich Anfang April bei einer nationalen Qualifikation in Duisburg direkt fĂŒr die Weltmeisterschaft qualifizieren. Diese wird Mitte Mai stattfinden. Und da haben die beiden eine realistische Chance sich einen Startplatz fĂŒr die Paralympischen Spiele in Rio zu sichern.
DafĂŒr mĂŒssten sie es unter die neun besten Starter und ins Finale schaffen – und am besten noch die anderen EuropĂ€er abhĂ€ngen. Denn fĂŒr die Qualifikation der Paralympischen Spiele gibt es eine LĂ€nderverteilungsregel, die besagt, dass von jedem Kontinent gleichviele Athleten zugelassen werden mĂŒssen.
Fogarasi scheitert
Der mehrmalige deutsche Meister vom HKC, Patrick Fogarasi, konnte aufgrund eines entzĂŒndeten Weisheitszahns bei der ersten WM-Qualifikation nicht antreten. Er hatte am Freitag in Kienbaum noch eine Chance, sich zurĂŒck ins Nationalteam zu kĂ€mpfen. âUm das zu schaffen , muss vieles passenâ, sagte der Vater von zwei Kindern schon im Vorfeld. Dann kam das Aus. Er verpasste die Normzeit von 48,07 Sekunden auf 200 Metern um etwa eine Sekunde. Die 200 Meter sind die einzige Wettkampfdistanz beim Parakanu.
Ivo Kilian ist in seinem Kanu wĂ€hrenddessen nur noch als kleiner Punkt in der Ferne auszumachen. Er nimmt das âgut Warmfahrenâ ernst. Der Trainer schwĂ€rmt unterdessen. âUnter uns: Ivo ist ein Naturtalentâ, offenbart Ronny WaĂmuth stolz, âer lernt unglaublich schnell.â Das ist fĂŒr den Erfolg des 38-JĂ€hrigen auch immens wichtig. Der IT-Spezialist betreibt den Parakanusport nĂ€mlich erst seit gut zwei Jahren.
Trotzdem fÀhrt er schon ganz vorne mit, gewann die Bronzemedaille bei der WM in Mailand im vergangenen Jahr und darf sich zweimaliger deutscher Meister nennen. Als nÀchstes Ziel stehen nun die Paralympischen Spiele auf dem Programm.
Ivo Kilian steigt ins Kanu.
Eckehard Schulz
Der Weg dorthin war und ist jedoch holprig. Das Paralympische Komitee erklĂ€rte nĂ€mlich das Auslegerboot, in dem Kilian seine ersten Erfolge feiern konnte, das sogenannte Vaâa, als nichtparalympisch zugelassen. Stattdessen darf man nur im Kanu starten. âNa und, dann fahr ich halt Kanuâ, war Ivo Kilians erste Reaktion auf diese Ănderung. Die Chance auf eine Teilnahme in Rio wollte er sich nicht nehmen lassen, bloĂ weil er nun umschulen musste.
Dies war jedoch einfacher gesagt als getan. FĂŒr den Trainer WaĂmuth und seinen SchĂŒtzling stand nun, das neue Boot beherrschen zu lernen. Was gar nicht so leicht viel. Doch auch diese Herausforderung konnte gemeistert werden und Ivo Kilian hat sich inzwischen an sein neues Boot gewöhnt. Jetzt heiĂt es: Fokus bewahren und hart trainieren. Nachdem im Winter an der Kraftentwicklung gearbeitet wurde, wird aktuell viel fĂŒr die Grundlagenausdauer trainiert. âDas heiĂt viele Kilometer schrubbenâ, sagt Kilian, der wöchentlich sechs bis acht Einheiten absolviert.
Kinder bei WettkÀmpfen dabei
Jedes zweite Wochenende opfert er auĂerdem komplett fĂŒr den Sport. An solchen Wochenenden bewĂ€ltigt er sechs Einheiten an zwei Tagen. Auf die Frage wie er bei all dem Training und seinem zeitaufwĂ€ndigen Job noch Zeit fĂŒr seine beiden Kinder finde, reagiert der alleinerziehende Vater lachend: âDie sind in einem Alter in dem sie sowieso nicht mehr so viel mit mir zu tun haben wollen.â Die beiden seien 17 und 18 Jahre alt und wĂŒrden ihre Zeit hauptsĂ€chlich mit ihren Freunden verbringen.
Nur zu den WettkĂ€mpfen ihres Vaters kĂ€men sie regelmĂ€Ăig. âIch habe die vollste UnterstĂŒtzung von meiner Familieâ, sagt Kilian, âdas ist auch einer der GrĂŒnde, warum ich den Sport weiterhin ausĂŒbeâ, sagt der Mann, dem von Geburt an die Unterschenkel fehlen. Die Anfangsbuchstaben der Namen seiner Kinder hat Ivo Kilian auf seinem Oberarm tĂ€towiert.
Geld bekommen die Parakanuten nicht fĂŒr den Aufwand, den sie betreiben. Auch die öffentliche WertschĂ€tzung lĂ€sst zu wĂŒnschen ĂŒbrig. âParakanu ist und bleibt leider eine Randsportart,â meint Trainer WaĂmuth traurig. Doch fĂŒr Ivo Kilian ist der SpaĂ am Parakanu fahren das Wichtigste. âOft genieĂe ich es einfach, auf dem Wasser zu sein und meinen Kopf frei zu kriegenâ, erzĂ€hlt er. In solchen Momenten denke er nicht an WettkĂ€mpfe. Da gebe es nur ihn, sein Boot und das Wasser.
Beim Wettkampf gehe es darum, dann vom Start bis ins Ziel konzentriert und mit allen Muskeln am Anschlag zu paddeln. Den Ausgleich brauche er einfach, denn er verbringe die meiste Zeit im Auto oder im BĂŒro. Falls dieser âJob-Ausgleichâ tatsĂ€chlich nach Rio fĂŒhren sollte, wĂ€re das sicherlich das i-TĂŒpfelchen der noch jungen und bislang schon steilen Karriere des 38-jĂ€hrigen Parakanuten. (mz)